Zum Tod von Jean-Louis Roy

Diverses 30. März 2020

Der Genfer Regisseur und Begründer der berühmten Groupe 5 mit Alain Tanner, Claude Goretta, Michel Soutter und Jean-Jacques Lagrange im Jahr 1968 ist am vergangenen Wochenende gestorben. Er war 82 Jahre alt. Sein Tod nach einer langen Krankheit und mitten in einer Pandemie hört sich wie eine seltsame Wendung des Schicksals an, bei der die Fiktion der Realität etwas zu nahe kommt. Denn diese Zeiten der Quarantäne hatte er schon 1970 in Black-Out gefilmt, dessen Drehbuch die verstorbene Patricia Moraz mitverfasst hatte. Der Film beschreibt das Leben eines älteren Ehepaars (mit einer hübschen Prise Humor), das aus paranoider Angst vor einer Nuklearkatastrophe beschliesst, sich zu Hause in seiner kleinen Vorstadtvilla einzuschliessen. Ein apokalyptischer Rückzug, der einen frösteln lässt in einer Zeit, in der ein Drittel des Planeten zu Hause bleiben muss!
Der 1938 in Genf geborene Jean-Louis Roy entwickelte schon früh eine Leidenschaft für das Kino. Mit 12 Jahren gründete er den Filmklub Ciné-Jovial und organisierte für seine Freunde Vorführungen von Filmen von Keaton und Chaplin. Im Alter von 16 Jahren wurde er von René Schenker ins Team der Pioniere aufgenommen, die das Genfer Fernsehen ins Leben riefen, das wenig später zur Télévision suisse romande werden sollte. So kam er nach einer Fotografenlehre bald als Kameramann und Editor zur TSR und arbeitet unter anderem mit Claude Goretta. Als Regisseur war er 1964 für die Fernsehsendung Happy End zuständig, die am Montreux Festival – einer internationalen Veranstaltung für Fernsehprogramme – die Rose d’Or gewann. 
Der grosse Liebhaber von Musicals, Western und Fantasy-Filmen träumte auch von der grossen Leinwand. 1967 schloss er seinen ersten abendfüllenden Spielfilm ab, L’inconnu de Shandigor, eine bemerkenswerte Neuinterpretation des Genrefilms zwischen Krimi und Fantasy-Film. Eine Geschichte von russischen, amerikanischen, asiatischen und kahlköpfigen Spionen auf der Suche nach den Plänen des Annulators (der Nuklearwaffen neutralisiert) im internationalen Genf. Die Filmbesetzung ist beeindruckend: Daniel Emilfork, Jacques Dufilho, Ben Carruthers und Serge Gainsbourg, der darin den unveröffentlichten Mister Spy singt…
Im mit begrenzten Mitteln hervorragend ausgearbeiteten Schwarzweissfilm, gelang es Roy, Humor und Tragik so zu vermischen, dass der Film auch heute noch sehr modern wirkt. Dies bescherte ihm eine Einladung für den Wettbewerb in Cannes und im selben Jahr auch eine Nomination für Locarno. Freddy Buache schrieb damals: «Dieses Mosaik von Intrigen veranschaulicht die Weigerung, das lineare Spiel von Spannung und Romanhaftem mitzumachen: Das Thema verschiebt sich, und wir finden dessen eigentliches Gravitationszentrum in der Poesie. Roy wie auch Franju bringen uns an den Rand des magischen Realismus, und manchmal mutet das Geschehen wie bei Stanley Donen wie ein Ballett an.»
Black Out aus dem Jahr 1970 drehte er im Rahmen der Groupe 5. Noch im selben Jahr erhielt der Film eine Einladung an die Berlinale. Dennoch zog es Jean-Louis Roy vor, seine Karriere bei TSR fortzusetzen und realisierte dort im Laufe der Jahre unzählige Reportagen und Dokumentarfilme aller Art, darunter mehrere Porträts von Künstlern, Filmschaffenden und Sängern wie Max Bill, Yves Robert und Charles Trenet und behandelte soziale Themen, beispielsweise in Profession : exorciste, L’indien des Acacias ou La maison des souvenirs. Zur Fiktion kehrte er nur noch für einen Fernsehfilm, Talou (1980) zurück, einem modernen Märchen, das er mit Lova Golovtchiner schrieb. Der junge Prinz eines imaginären afrikanischen Königreichs wird in die Schweiz geschickt, damit er vor den Feinden seines Vaters geschützt ist. Aber das reicht nicht, und er wird im Safe einer Schweizer Bank eingeschlossen…
Die Cinémathèque suisse freute sich, mit der Unterstützung von Memoriav und der RTS mit ihm den Film L’inconnu de Shandigor in 4K restaurieren und ihn 2016 in Locarno präsentieren zu können. So erhielt der Film ein zweites Leben und wurde an mehreren Festivals des Kulturerbes vorgeführt, unter anderem auch in New York. Jean-Louis Roy zeigte ihn im April 2019 im Cinéma Capitole, anlässlich des Kongresses der Internationalen Föderation der Filmarchive in Lausanne. Der Film beeindruckte das Publikum, das Menschen aus aller Welt umfasste, und brachte ihm erneut mehrere Einladungen in andere Länder ein. Seiner Familie und seinen Freunden sprechen wir unser herzlichstes Beileid und unsere Freundschaft aus. Frédéric Maire
Frédéric Maire

Am 9. April 2019 präsentierte Jean-Louis Roy L’inconnu de Shandigor im Capitole
Jean-Louis Roy online
L’inconnu de Shandigor sowie ein von Bertrand Theubet realisiertes Porträt von Jean-Louis Roy werden am Dienstag, 31. März, von RTS ausgestrahlt und sind danach einen Monat auf der Website von RTS verfügbar. Die beiden Filme sind auch in der DVD-Box Groupe 5 enthalten, einer Koproduktion der Cinémathèque suisse und der RTS. Die Box ist in unserem Onlineshop erhältlich.

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