Tod von Marc Wehrlin

Diverses 4. Februar 2022

Marc Wehrlin, Präsident des Stiftungsrats der Cinémathèque suisse von 2010 bis 2016, ist am 30. Januar im Alter von 73 Jahren unerwartet verstorben.
Als eher diskrete, wenn nicht sogar bescheidene Person, hätte er meiner Beschreibung bestimmt nicht zugestimmt: In meinen Augen war Marc Wehrlin ein wahrer «grand commis de l’Etat», wie unsere französischen Nachbarn sagen – ein hoher Beamter, der sich, oft im Verborgenen, für den Schweizer Film stark gemacht hat. Und nicht nur dafür. Der 1948 in Bern geborene Marc Wehrlin leitete als ausgebildeter Anwalt zunächst, wie er es selbst humorvoll nannte, eine «bernische Landpraxis», eine Anwaltspraxis «für Menschen wie du und ich». 1976 wechselte er als Anwalt des Verbands filmdistribution schweiz in die Filmbranche. Er beteiligte sich an der Gründung mehrerer Organisationen im Filmbereich, darunter die Genossenschaft für Urheberrechte Suissimage, die Vereinigung zur Bekämpfung der Piraterie SAFE, der Dachverband Cinésuisse und die Weiterbildungsstiftung FOCAL, und trug zu ihrer Entwicklung bei.
1995 schlugen die damalige Bundesrätin Ruth Dreifuss und der Direktor des Bundesamts für Kultur, David Streiff, Marc Wehrlin für das Amt des Leiters der Sektion Film des BAK vor – eine Funktion, die er zehn Jahre lang innehatte. Während seiner Amtszeit wurden die erfolgsabhängige Filmförderung Succès Cinéma, der Schweizer Filmpreis sowie das neue Filmgesetz geschaffen und die Schweiz nahm ihre Beteiligung am europäischen audiovisuellen Programm MEDIA wieder auf. Von 2005 bis 2008 amtete er schliesslich als stellvertretender Direktor des Bundesamts für Kultur. In all diesen Jahren setzte er sich ausserdem an der Seite von Hervé Dumont, dem damaligen Direktor der Cinémathèque suisse, massgeblich dafür ein, dass das Projekt des neuen Forschungs- und Archivierungszentrums der Institution in Penthaz Gestalt annehmen konnte.
2008 übernahm er nach der Pensionierung von Hervé Dumont bis zu meinem Amtsantritt im Oktober 2009 als Delegierter des Stiftungsrats interimistisch die Leitung der Cinémathèque suisse. Im Januar 2010 wurde er zum Präsidenten der Institution ernannt und blieb bis Juni 2016 im Amt.
Bei der Cinémathèque suisse trug Marc Wehrlin gemeinsam mit der Geschäftsleitung zur Reform der Governance der Institution und ihrer Verwaltung bei und ermöglichte es ihr so, sich weiterzuentwickeln und den neuen Herausforderungen der Digitalisierung souverän begegnen zu können. Darüber hinaus leistete er durch seine Kompetenzen als Mediator und Organisationsberater auch einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Zusammenarbeit, des Dialogs und der Unternehmenskultur innerhalb der Institution.
Die Idee des Service Public und spielte für Marc Wehrlin nämlich eine wichtige Rolle und er setzte sich gemäss seinen eigenen Überzeugungen stets für das Wohl der Gesellschaft ein. Aus diesem Grund absolvierte er zwischen 2003 und 2005 wohl auch eine berufsbegleitende Weiterbildung zum Mediator an der Berner Fachhochschule und studierte bei Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer systemische Strukturaufstellungen. Und damit nicht genug. Politisch engagierte er sich bei den Grünen und wurde zunächst in den Stadtrat und dann in den Grossen Rat des Kantons Bern gewählt. Er war im Berner Heimatschutz Präsident der Regionalgruppe Bern Mittelland und leitete bis 2015 die Finanzkommission des Nationalmuseums.
Auf persönlicher Ebene spielte er auch für meine eigene Laufbahn in der Filmbranche eine äusserst wichtige Rolle. In seiner Funktion beim BAK wurde er beispielsweise schnell zu einem fachkundigen und zuverlässigen Unterstützer des von uns gegründeten Filmklubs für Kinder, der Zauberlaterne. Und nach seinem Weggang von der Cinémathèque suisse beriet er uns weiterhin aktiv in hochkomplexen Fragen des audiovisuellen Urheberrechts, insbesondere auf europäischer Ebene und in Bezug auf verwaiste Werke. Vor gerade einmal zehn Tagen haben wir noch über neue Vergütungsrechte für die Online-Nutzung audiovisueller Werke diskutiert.
Heute, erschüttert von seinem plötzlichen Tod und in Gedanken bei seiner Familie, trauere ich um einen Kulturliebhaber, begeisterten Vielleser und scharfsinnigen Filmliebhaber, dem wir viel zu verdanken haben.

Frédéric Maire, Direktor der Cinémathèque suisse

Marc Wehrlin (1948-2022)

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