Rozier, Cassavetes, Weerasethakul: die Abenteurer

Diverses 10. Januar 2022

In unserem letzten Bulletin widmet Frédéric Maire das Editorial drei Abenteurern des Kinos, die Anfang Jahr im Rampenlicht stehen: Jacques Rozier, John Cassavetes und Apichatpong Weerasethakul.

Unser Programm Anfang 2022 beleuchtet die Arbeit von drei Regisseuren, die wahre Abenteurer des Kinos sind. Alle drei haben in ihren Filmen mit innovativen, radikalen und heute noch höchst modernen Formen der Inszenierung und Kreation experimentiert.

Der erste in chronologischer Reihenfolge ist Jacques Rozier, der 1926 geboren wurde. Der grandiose Cineast der französischen Nouvelle Vague und gefeierte Autor von Adieu Philippine (1961) und Maine Océan (1986) verkörpert ein von Zwängen befreites Kino, in dem die Kamera Realität und Dreh verschmelzen lässt. «Feilen und nochmals Feilen … Sobald ich jemanden sagen höre, dass er seit zwei Jahren an seinem Drehbuch arbeitet, möchte ich erwidern, dass er das besser für sich behalten soll. Beim Film geht es um Risiko und Verlangen. Wie in der Liebe», sagte Jacques Rozier in einem Gespräch mit Télérama im Februar 2019. 

Roziers Filme finden ihre Entsprechung in jenen von John Cassavetes, einem weiteren wunderbaren Regisseur, der 1929 in den USA auf die Welt kam. Cassavetes, der zuerst als Schauspieler in zahlreichen Fernsehserien und mehreren Filmen zu sehen war, etablierte sich mit Shadows (1959) bald als aussergewöhnlicher Filmemacher. Er wählte Formen und Themen, die Vorboten des New Hollywood waren, mit einer Familie hervorragender Schauspielerinnen und Schauspielern wie Peter Falk, Seymour Cassel, Ben Gazzara und seiner Gattin Gena Rowlands. Doch um seine eigenen Filme zu finanzieren, musste er mehr Rollen in Serien und Filmen anderer übernehmen, beispielsweise in The Dirty Dozen (Das dreckige Dutzend) von Robert Aldrich (1967) und Rosemary’s Baby von Roman Polanski (1968).

«Jeder Film muss seine Inspiration aus dem Augenblick ziehen», pflegte Cassavetes zu sagen. Und in der Tat muss in seinen Filmen, selbst wenn sie stark auf Geschriebenem basieren, das Unvorhergesehene stets seinen Platz haben. Bei den Dreharbeiten gibt es unzählige Wiederholungen, denn er ändert den Text der Schauspielenden nach und nach auf der Grundlage ihren Reaktionen und Vorschläge – «diese kreativen Wiederholungen sollten den Eindruck erwecken, dass alles zum ersten Mal geschah», erklärte der Schauspieler Ben Gazzara.

Der 1970 geborene thailändische Regisseur Apichatpong Weerasethakul, der 2010 für Uncle Boonmee, Who Can Recall His Past Lives die Goldene Palme erhielt, wirkt in seinem Werk auf den ersten Blick kontrollierter. Doch seine Filme sind ebenfalls Teil eines Abenteuers, bei dem in den Bildern und Klängen oft das Unerwartete auftaucht und die Natur mit den Menschen auf fast organische Weise interagiert. Ein magisches Universum, in dem immer alles möglich ist. In dieser Hinsicht ist er gewissermassen ein moderner Nachkomme von Rozier und Cassavetes, indem er ihre Freiheit des Erzählens in eine aussergewöhnliche Freiheit der Form umwandelt, die in Memoria, den wir am Dienstag, dem 25. Januar als Vorpremiere zeigen, wunderbar zum Ausdruck kommt. Der Film offenbart sich als eine Erfahrung in Raum und Zeit, und die Schauspielerin Tilda Swinton taucht mit dem Publikum in einen Nebel von Geistern – der Erinnerung und der Geschichte – ein.

Frédéric Maire, directeur de la Cinémathèque suisse

Le parti des choses : Bardot et Godard de Jacques Rozier (1963)
Le parti des choses : Bardot et Godard von Jacques Rozier (1963)
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