Retrospektive Alain Tanner

Diverses 7. April 2025

In Partnerschaft mit der Association Alain Tanner, der UNIL und der RTS zeigt die Cinémathèque suisse eine breite Auswahl an restaurierten Filmen des Schweizer Cineasten.

Alain Tanner, jung geblieben

1955 reiste der junge, filmbegeisterte Genfer Student (und Leiter des Filmclubs der Universität Genf) Alain Tanner mit seinem Freund Claude Goretta nach London, um am British Film Institute zu arbeiten und die pulsierende Welt des Free Cinema kennenzulernen. Dort drehten sie den Kurzfilm Nice Time (1957), für den sie in Venedig einen Preis erhielten.

Zurück in Genf trafen sie beim Westschweizer Fernsehen auf Michel Soutter und realisierten nach und nach beeindruckende Reportagen aus der Schweiz und dem Ausland, die später als Ausgangspunkte für ihre Drehbücher dienten. Alain Tanners erster Langfilm, der Dokumentarfilm Les Apprentis (Die Lehrlinge, 1964), illustriert bereits das Bestreben des jungen Filmemachers, von einer Gesellschaft im Wandel und einer Jugend, die sich über ihre Zukunft Gedanken macht, zu erzählen. 1968 weilte er in Paris und filmte für das TSR die Mai-Ereignisse. Es ist ziemlich offensichtlich, dass in Charles mort ou vif (Charles – tot oder lebendig, 1969), seinem ersten abendfüllenden Spielfilm, die Figur des Firmenchefs, der alles hinter sich lässt, aus der damaligen Rebellion heraus entstand.

Doch schon damals schimmerten eine gewisse Distanz und Nachdenklichkeit durch, die in La Salamandre (Der Salamander, 1971) ihren optimalen Ausdruck fanden. In diesem Film macht es die rebellische und freigeistige Rosemonde (Bulle Ogier) den Herren Jean-Luc Bideau und Jacques Denis nicht leicht, sie zu analysieren.

Alle frühen Filme von Tanner zeichnen ein Bild des Unbehagens in der westlichen, kapitalistischen Gesellschaft der 1960er- und 1970er-Jahre, das in Jonas qui aura 25 ans en l’an 2000 (Jonas, der im Jahr 2000 25 Jahre alt sein wird, 1976) seinen Höhepunkt erreicht – einem emblematischen Film voller Desillusionen und Hoffnungen, der das Publikum (und ganz viele Filmschaffende) weltweit prägen wird.

Dann folgte ein Wendepunkt: Messidor (1978), eine Art Schweizer Vorgänger von Thelma und Louise, schildert die verzweifelte Eskapade zweier junger Frauen, die jedoch nie über die Alpen hinausgelangen. Sie drehen sich in diesem Land buchstäblich im Kreis, bis sie angeblich übergeschnappt geschnappt werden. Auch der Filmemacher gestand sich ein, dass er einen Tapetenwechsel und frische Luft brauchte.

Was er dann auch umsetzte. Er drehte zwei Filme, die sich radikal von seinen früheren unterschieden: zuerst in Irland, Light Years Away (1981), eine Fabel, die an den Mythos von Ikarus erinnert, anschliessend in Lissabon den intimeren und kontemplativen Dans la ville blanche (In der weissen Stadt, 1983), in dem der Seemann Bruno Ganz die Stadt und die umgebende Landschaft in Super 8 filmt. Tanner, der als 23-Jähriger bei der Handelsmarine als Schiffsschreiber tätig war, liebte das Meer schon immer, was in seinem grossartigen Dokumentarfilm über die Hafenarbeiter von Genua, Les Hommes du port (1994), deutlich wird.

Nach dieser Luftveränderung kehrte Alain Tanner in die Schweiz zurück, wo er sich dann mit anderen Themen wie Immigration, Sexualität, Alter befasste und das erstaunliche Echo auf den ersten Jonas, Jonas et Lila, à demain (Jonas und Lila, 1999) schuf, das den Wandel der Zeit thematisiert. In seinem letzten Film, Paul s’en va (2004) – mit jungen Schauspielerinnen und Schauspielern – bekräftigte er sein Credo als Filmemacher: Den Kampf der Generationen, den gebe es nicht. Was er festhalten wolle, sei im Gegenteil eine echte Beziehung, durch die Übergabe des Stabs und die Weitergabe von Wissen. Deshalb ist sein Werk auch heute noch so aktuell und relevant.

Frédéric Maire

Alain Tanner sur le tournage d'Une ville à Chandigarth (1966)
Alain Tanner sur le tournage d'Une ville à Chandigarth (1966)