Filmregisseur Alexander J. Seiler ist gestorben

Diverses 23. November 2018

Mit grosser Trauer hat die Cinémathèque suisse erfahren, dass eine der wichtigsten Persönlichkeiten des Schweizer Films, der Zürcher Filmschaffende Alexander J. Seiler, am vergangenen Donnerstag im Alter von 90 Jahren gestorben ist. Ab den 1960er-Jahren war er neben Henry Brandt, Walter Marti, Alain Tanner, Michel Soutter und Claude Goretta eine der markanten Figuren des Neuen Schweizer Films – insbesondere des Dokumentarfilms. Die Cinémathèque suisse möchte seinen wichtigen Beitrag zum Film, zur Kultur und zur Politik dieses Landes würdigen.
Alexander J. Seiler wurde am 6. August 1928 in Zürich geboren. Nach der Maturität im Jahr 1947 studierte er Literatur, Philosophie und Soziologie in Basel, Paris und München. Gleichzeitig arbeitete er als Theater-, Film- und Literaturjournalist. 1957 beendete er sein Studium und promovierte an der Universität Wien mit einer theaterwissenschaftlichen Dissertation. 1961 wandte er sich als Autor, Produzent und Regisseur dem Film zu und arbeitete viele Jahre mit den Filmschaffenden June Kovach und Rob Gnant. Zehn Jahre später wirkte er bei der Gründung der Produktionsgemeinschaft Nemo Films AG mit, zu der auch Kurt Gloor, Markus Imhoof, Fredi M. Murer und der kürzlich verstorbene Yves Yersin gehörten.

Der Literatur-, Theater- und Musikliebhaber (zu seinen Freunden gehörten auch Pablo Casals, Ludwig Hohl und Max Frisch) begann seine Karriere als Regisseur von zwei poetischen Kurzfilmen: Auf weissem Grund (1961, Impressionen von Schneelandschaften, vermischt mit Bildern vom Wintersport) und In wechselndem Gefälle (1962, eine «Sinfonie des Wassers»), in Cannes ex æquo mit der Goldenen Palme als bester Kurzfilm ausgezeichnet, was damals grosses Aufsehen erregte.
Doch schon bald richtete der engagierte, unnachgiebige und polemische Mann seine Kamera auf die sozialen und politischen Gegebenheiten in seinem Land. 1964 realisierte er den berühmten Film Siamo italiani, der zum ersten Mal die harte Realität der in die Schweiz immigrierten Arbeiter zeigte und in die Schweizer Filmgeschichte einging. Max Frisch, der für das ein Jahr später veröffentlichte Buch Siamo italiani das Vorwort schrieb, wählte die folgenden Worte: «Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen». Seiler kam übrigens 2002 in Vento di settembre auf dieses Thema zurück, als er nach Süditalien aufbrach, um die in ihr Land zurückgekehrten Immigranten aufzusuchen.
1977 befasste sich Seiler mit einem soziologischen Thema, das bis anhin im Film selten behandelt worden war: Der Film Die Früchte der Arbeit (1977, Arbeit und Arbeiter in der Schweiz, 1914 – 1974), an dem er fast fünf Jahre arbeitete, ist eine wertvolle Dokumentation zum Thema Arbeitswelt in der Schweiz. Dann fand er im Porträt von Ludwig Hohl – ein Film in Fragmenten (1982) zurück zu seiner Liebe zur Literatur; doch schon bald griff er wieder in die Politik ein und realisierte 1990 Palaver, Palaver. Eine Schweizer Herbstchronik 1989 im Kontext der öffentlichen Debatte über die Schweiz ohne Armee mit Szenen aus Max Frischs Theaterstück Jonas und sein Veteran, inszeniert von Benno Besson.
2014 erhielt Alexander J. Seiler an der Schweizer Filmpreisverleihung den Ehrenpreis für sein Schaffen, das sich durch ein grosses Engagement für die Kultur- und Filmpolitik der Schweiz auszeichnet. Er gehörte mit Tanner und Soutter zu den Urhebern des Bundesgesetzes über das Filmwesen (1963). Von 1965 bis 1970 war er Sekretär und bis 1984 Vorstandsmitglied des Verbands Schweizerischer Filmgestalter. Zwischen 1967 und 1977 beteiligte er sich aktiv am Aufbau des Schweizerischen Filmzentrums (Vorgänger von Swiss Films) und an dessen Geschäftsführung. Im Ciné-Portrait, das ihm Swiss Films gewidmet hat, würdigt der Schriftsteller Peter Bichsel seine hartnäckigen und mutigen Bemühungen für das schweizerische Filmschaffen: «Dass das heute seine Selbstverständlichkeit hat, ist zu einem grossen Teil sein Verdienst.»
Frédéric Maire
 PS : Dschoint Ventschr Filmproduktion veröffentlichte 2014 in Zusammenarbeit mit der Cinémathèque suisse eine DVD-Box mit zwölf der wichtigsten Filme von Alexander J. Seiler. Sie ist in unserem Online-Shop erhältlich. Die Cinémathèque, die Ludwig Hohl (1982) und Palaver, Palaver (1990) restauriert hat, präsentierte sie im Januar 2014 in Anwesenheit des Filmemachers. Die Fotos und Videos jenes Abends sind auf unserer Website abrufbar. 

Alexander J.Seiler im Cinématographe, Januar 2014. © Carine Roth / Cinémathèque suisse
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