Tod von Pierre Blondeau, dem Filmvermittler von Pontarlier

Diverses 20. Oktober 2020

Am 18. Oktober ist Pierre Blondeau im Alter von 94 Jahren gestorben. Er war weder Schauspieler noch Filmschaffender, aber ein grosser Filmliebhaber, der unermüdlich dazu beitrug, dem Publikum das Kino näherzubringen: Vor ziemlich genau 60 Jahren wirkte er bei der Gründung des Filmklubs Jacques Becker und der Rencontres Internationales du Cinéma in Pontarlier mit. Das Ehepaar Blondeau – seine Gattin Simone verstarb 2015 – empfing Filmgrössen und Persönlichkeiten wie Joseph Losey, Ettore Scola, Volker Schlöndorff, Bertrand Tavernier, Elia Kazan, Theo Angelopoulos, Bernard Blier, Marcello Mastroianni, Serge Reggiani, Dino Risi, Robert Guédiguian, Alain Tanner, die Brüder Taviani und Samuel Fuller. Der Drehbuchautor und Schriftsteller Jean-Claude Carrière schrieb: «Gehen Sie zu Pierre und Simone nach Pontarlier und pflegen Sie dort die Liebe zum Film».
Der am 18. August 1926 in Pontarlier (Region Doubs) geborene Pierre Léon Louis Blondeau war Literaturdozent und zugleich kommunistischer Aktivist, stellvertretender Bürgermeister von Pontarlier, Gründer und Präsident des Filmklubs Jacques Becker und der Rencontres Internationales du Cinéma in Pontarlier. Als grosse Liebhaber der siebten Kunst belegten Pierre und Simone Blondeau in den 1950er-Jahren am Institut national d’éducation populaire de Marly-le-Roi mehrere Kursen in Filmkultur, bevor sie dann 1960 im Kino «L’Olympia» in Pontarlier den Filmklub Jacques Becker gründeten, der dem französischen Verband der Cine-Clubs angegliedert ist. 1966 eröffneten sie die Rencontres Internationales de Cinéma in Anwesenheit von Joseph Losey, der seine Filme bis und mit Modesty Blaise präsentierte. Von da an wurde die kleine Grenzstadt mit 15'000 Einwohnern zu einem magischen Anziehungspunkt, wo man in aller Einfachheit einige der grössten Persönlichkeiten aus der Filmbranche treffen und deren Werke kennenlernen konnte.
Schon sehr bald ergab sich eine enge und freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen dem Ehepaar Blondeau und Freddy Buache. Oft ergänzten Kopien aus der Cinémathèque suisse das Programm des Filmklubs. Doch auch in umgekehrter Richtung soll Pontarlier die Stadt gewesen sein, in der Frankreich und die Schweiz mehr oder weniger legal ihre Filmkopien austauschten, und wo die materielle Drehscheibe zwischen Langlois in Paris und Buache in Lausanne war. So wirkten die Blondeaus als Vermittler mit einem Hang zum «Schmuggeln» von Filmen im wahrsten Sinne des Wortes.

Ab Ende der 1970er-Jahre verlor Pierre Blondeau nach und nach sein Augenlicht, verzichtete aber nie darauf, ins Kino zu gehen, Filme zu präsentieren und Debatten zu moderieren. Seine Frau Simone wurde so zu seinen Augen und flüsterte ihm die Beschreibungen der Bilder, die er nicht mehr sehen konnte, ins Ohr. Nach der Vorführung betrat Pierre jeweils die Bühne und kommentierte den Film, den er dank Simone «gesehen» hatte, mit seiner gewohnten Vehemenz. An Festivals wie jenem in Locarno fehlten sie nie, und viele Filmfans erinnern sich daran, das Paar gesehen zu haben, das liebevoll und filmliebend die Leidenschaft für die siebte Kunst teilte.

Der Waadtländer Produzent Jean-Louis Porchet widmete ihnen übrigens einen kurzen Spielfilm, Les Yeux de Simone, mit Irène Jacob. Der Film wurde 2009 auf der Piazza Grande in Locarno und 2010 in der Cinémathèque suisse gezeigt.

2012 gaben Pierre und Simone Blondeau die Leitung des Filmklubs ab. Dieser entwickelt sich stetig weiter und veranstaltet im Théâtre Bernard Blier in Pontarlier wöchentliche Filmvorführungen, ein Animationsfilm-Festival, ein Festival für Frauenfilme sowie zahlreiche Anlässe zur Filmbildung.
Frédéric Maire
Website des Filmklubs

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