Zum Tod von Bruno Ganz

Diverses 18. Februar 2019

Der grosse Schweizer Schauspieler Bruno Ganz ist am 16. Februar im Alter von 77 Jahren in seiner Geburtsstadt Zürich gestorben, gerade als die 69. Berlinale ihrem Ende zuging. Wie ein Sinnbild für seine enge und sehr persönliche Beziehung zur deutschen Grossstadt und zu Deutschland überhaupt. Seine Verkörperung des Engels Damiel (zur Zeit der Mauer) in Der Himmel über Berlin von Wim Wenders (1987) oder jene von Adolf Hitler in seinem Berliner Führerbunker in Der Untergang von Oliver Hirschbiegel (2004) gehören zweifellos zu seinen eindrücklichsten Rollen. Doch seine Karriere begann schon früher, in der Berliner Schaubühne mit Peter Stein, Klaus-Michael Grüber und den Schauspielerinnen Edith Clever und Jutta Lampe. Mitte der 70er-Jahre wurde er in Westdeutschland zu einem der gefragtesten Schauspieler des Neuen Deutschen Films natürlich mit Wim Wenders (Der amerikanische Freund, Der Himmel über Berlin, In weiter Ferne, so nah!), aber auch mit Reinhard Hauff (Messer im Kopf), Peter Handke (Die linkshändige Frau), Volker Schlöndorff (Die Fälschung) und Werner Herzog (Nosferatu).
Der ausgesprochen europäische Schauspieler Bruno Ganz hatte einen seiner ersten herausragenden Auftritte in Die Marquise von O ... von Éric Rohmer, einer Adaption der Novelle von Heinrich von Kleist. Er spielte für den Polen Jerzy Skolimovski, die Italiener Giuseppe Bertolucci und Mauro Bolognini, den Spanier Jaime Chávarri, den Isländer Fridrik Thor Fridriksson, zweimal für den wunderbaren griechischen Cineasten Théo Angelopoulos in Die Ewigkeit und ein Tag (1998) und The Dust of Time (2008) sowie kürzlich für den Dänen Lars von Trier in The House that Jack Built. Bruno Ganz machte auch einige Abstecher nach Hollywood, unter anderem mit Francis Ford Coppola (Jugend ohne Jugend, 2007) und Ridley Scott (The Counselor, 2013). Er wird auch im neuesten Film von Terrence Malick, Radegund, zu sehen sein, der noch nicht in die Kinos gekommen ist.
Doch im Gegensatz zu anderen Schweizer Schauspielern, die den Grossteil ihrer Karriere gewollt oder ungewollt im Ausland verbrachten, pflegte Bruno Ganz immer eine sehr intensive Beziehung zu seinem Heimatland. Auch in der Schweiz drehte er mit den bedeutendsten Filmemachern, die mit ihren Werken sowohl bei der Kritik als auch beim Publikum oft grossen Erfolg hatten. Man denke an Lissabon und den Seemann in Dans la ville blanche des Genfers Alain Tanner (1983) und an den freundlichen Kellner in Pane e tulipani des italienisch-schweizerischen Regisseurs Silvio Soldini (2000), eine Rolle voller liebenswerter Melancholie, die ihn auch weit über sein gewohntes Publikum hinaus bekannt machte und die er am 6. Juni 2006 in der Cinémathèque suisse in Anwesenheit von Hervé Dumont, dem damaligen Direktor der Institution präsentierte.
Seit Beginn der 80er-Jahre drehte er immer häufiger und praktisch ohne Unterbruch in der Schweiz. Seine beiden ersten Filme waren La provinciale von Claude Goretta (1981) und Der Erfinder von Kurt Gloor (1982), in dem er einen erfinderischen Bauer verkörpert. Später sah man ihn als Grossvater in Vitus von Fredi M. Murer und als verführerischen Fünfzigjährigen in Giulias Verschwinden von Christoph Schaub. Vor nicht allzu langer Zeit trat er als Alpöhi in Heidi von Alain Gsponer, als ehemaliger Nazi in Amnesia von Barbet Schroeder, in Ein Jude als Exempel von Jacob Berger und als Mönch in Fortuna von Germinal Roaux auf.
Bruno Ganz hat unzählige Film- und Theaterpreise erhalten, vom Hans-Reinhart-Ring über den Orden eines Ritters der Ehrenlegion, den David di Donatello, den Schweizer Filmpreis bis hin zum Iffland-Ring für den besten deutschsprachigen Schauspieler … bis zu dessen Tod. Zwar freute er sich über die Auszeichnungen, doch er musste sich auch davon distanzieren, oft mit Humor. Als ihm am Festival Locarno auf der Piazza Grande ein Preis verliehen wurde, parodierte er den österreichischen Schriftsteller Thomas Bernhard, der eine berühmte und virulente Schimpftirade gegen Ehrungen gehalten hatte (die er mehrere Male auf der Bühne dargestellt hatte). Manche fanden ihn geheimnisvoll, diskret, andere reserviert. Vielleicht war er im Grunde genommen nur ein typischer Schweizer, der (im Leben) gern zurückhaltend auftrat und fast gegen seinen Willen berühmt wurde. Er wird uns abwechslungsweise als Engel, Seemann, Flieger, Erfinder, Kellner, Bauer oder sogar Adolf Hitler in Erinnerung bleiben. Kurz: als ein herausragender Schauspieler, wie es nur wenige gibt.
Frédéric Maire