Produzent Andres Pfäffli verstorben

Diverses 17. August 2020

Mit grosser Trauer hat die Cinémathèque suisse erfahren, dass der Tessiner Produzent und Regisseur Andres Pfäffli im Alter von 66 Jahren verstorben ist. 1991 gründete er mit Elda Guidinetti die Produktionsfirm Ventura Film in Meride und produzierte mehr als 70 Spiel- und Dokumentarfilme, die zahlreiche internationale Preise gewonnen haben.
Andres Pfäffli wurde 1954 in Zürich geboren. Nach seinem Geschichts- und Romanistikstudium an den Universitäten Zürich und Genf wandte er sich 1979 dem Film zu. Zunächst als Verleiher, dann als Regisseur und Produzent. Mit seiner Arbeits- und späteren Lebenspartnerin, Elda Guidinetti aus Chiasso, liess er sich im Tessin nieder, wo sie die Gesellschaft Ventura Film gründeten, um – wie auf der Website zu lesen ist – Dokumentarfilme und Fiktionen zu realisieren und produzieren, die in Form und Inhalt Grenzen erforschen, anprangern und durchbrechen.
Als Regisseur, mit Elda Guidinetti oder allein, drehte Andres Pfäffli zahlreiche Dokumentarfilme, insbesondere über Architektur, darunter Mario Botta – Senza Luce – Nessuno spazio (1988), Point de vue mit Bernard Lehner (1991), Archittetura rimossa (1993) und Alberto Sartoris, La memoria di un secolo (1994).
Als Produzenten fokussierten sich Elda und Andres zuerst auf die Schweizer Filmschaffenden, Tessiner in erster Linie, und produzierten sehr viele Dokumentarfilme und einige Spielfilme mit altbewährten Regisseuren wie Alexandre J. Seiler (Vento di settembre, 2002), Iwan Schumacher und auch jüngeren Autoren wie Edna Politi, Alina Marazzi, Fulvio Bernasconi, Francesco Jost, Christoph Kühn, Martin Witz, Jesse Allaoua und Erik Bernasconi.
Ihre dokumentarische Filmografie umfasst mehrere Portraits von Künstlern, Musikern, Schriftstellerinnen und Poeten, darunter Paul Nizon, Fabio Pusterla, Friedrich Glauser, Antonio Tabucchi, Paul Sacher und Alfonsina Storni. Neben ihrem sozialpolitischen Engagement begleitete das Paar auch gerne Filme, die gesellschaftliche Phänomene beleuchten wie Vogliamo anche le rose von Alina Marazzi (2009) über die feministische Bewegung in Italien oder Custodi di guerra von Zijad Ibrahimovic (2009) über die Erinnerung an den Krieg in Ex-Jugoslawien. Erwähnt seien auch drei viel beachtete Werke von Martin Witz; einer dem Gründer der Migros, Gottlieb Duttweiler (Dutti der Riese, 2007), ein anderer dem Erfinder von LSD, Albert Hoffmann (The Substance, 2011) und der dritte dem Erbauer von Brücken in den USA, dem Schweizer Othmar Amman (Gateways to New York, 2019) gewidmet.
Ventura Film entwickelte auch sehr bald eine ambitionierte und erfolgreiche Koproduktionsstrategie, unter anderem mit zwei Filmen des Portugiesen Pedro Costa, No quarto da Vanda (2000) und Juventude en marcha (2006), drei Filmen des Deutschen Philip Gröning, dem bekannten Dokumentarfilm Die Grosse Stille (2005) über die Mönche der Grande Chartreuse, Die Frau des Polizisten (2013) und Mein Bruder heisst Robert und ist ein Idiot (2018). Ausserdem mit zwei Filmen von Silvio Soldini, Il comandante e la cicogna (2012) und Il colore nascosto delle cose (2017) sowie den Filmen L’ange de l’épaule droite des Tadschiken Djamshed Usmonov (2002), Los Muertos des Argentiniers Lisandro Alonso (2004) und mehreren italienischen Filmen, darunter La felicità non costa niente von Mimmo Calopresti (2005), Mirna von Corso Salani (2009), Le quattro volte von Michelangelo Frammartino (2010), Via Castellana Bandiera von Emma Dante (2013), Vangelo von Pippo Delbono (2016), Sicilian Ghost Story von Antonio Piazza und Fabio Grassadonia (2017) und 7 minuti von Michele Placido (2016).
Im Laufe der Jahre wurden ihre Produktionen an die grössten Festivals eingeladen (Cannes, Venedig, Berlin, Locarno, Sundance, Toronto usw.) und mit den höchsten Preisen ausgezeichnet. Ausserdem erhielt Ventura Film im Jahr 2013 den Premio Cinema Ticino, den der Kanton Tessin im Rahmen des Festival Locarno alle zwei Jahre auf der Bühne der Piazza Grande verleiht – zusammen mit der Produktionsfirma Amka Film, deren Leiterin Tiziana Soudani im vergangenen Januar verstorben ist.
Andres und Elda waren oft zu Gast bei der Cinémathèque suisse, um ihre neuesten Produktionen als Vorpremieren zu präsentieren oder einfach aus Freundschaft. Beispielsweise zeigten wir 2014 Die Frau des Polizisten von Philip Gröning und 2017 Vangelo von Pippo Delbono im Capitole, zwei Filme, die wir in der Schweiz vertrieben haben. Das filmbegeisterte Paar hatte ein scharfes Auge für den Film, einen sicheren Geschmack und klare Ansprüche. Als Produzenten handelten sie oft mutig und hörten mehr auf die Stimme des Herzens als auf die der Vernunft. Mit Andres Pfäffli verliert der Schweizer Film einen seiner beherztesten Akteure. Unsere Gedanken sind bei Elda Guidinetti, die heute allein an der Spitze von Ventura Film bleibt, nachdem sie so viel mit ihm geteilt und ihn in den letzten Jahren seiner Krankheit, die seine Produktionsfreude (oh, wie wenig!) vermindert hatte, stets tapfer unterstützte.
Frédéric Maire

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